Zugang zu allen STERN PLUS-Inhalten und Artikeln aus dem Print-Magazin
werbefrei & jederzeit kündbar
"Es geht darum, Giannis zu kontrollieren. Ich weiß nur noch nicht wie", sagte Bundestrainer Gordon Herbert vor dem Sieg gegen Griechenland. "Seine Athletik ist von einem anderen Stern", schwärmte Center Jonas Wohlfarth-Bottermann. "Giannis zu stoppen, ist fast unmöglich", stellte Aufbauspieler Dennis Schröder fest. Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft wusste nur zu gut, mit wem sie es im Viertelfinale der Eurobasket 2022 vor allem zu tun bekommen sollte: Giannis Antetokunmpo.
"The Greek Freak", wie der 27 Jahre alte Ausnahmespieler genannt wird, ist einer der besten Basketballer der Welt – nach Ansicht vieler Experten sogar der beste. Im Team der Griechen war er bei der EM der Dreh- und Angelpunkt. 31 Punkte, sieben Rebounds und acht Assists steuerte der zweimalige "Most Valuable Player" der US-Profiliga NBA in der Partie gegen Deutschland bei. Starallüren sind dem 2,11 Meter großen Superstar von den Milwaukee Bucks dennoch fremd. "Giannis ist so demütig und engagiert. Es ist das Einfachste, ihn in dein Team einzubauen", sagte Trainer Dimitrios Itoudis über seinen wichtigsten Spieler, dessen Brüder Thanasis und Kostas ebenfalls zum Kader gehörten.
Antetokunmpos Demut kommt nicht von ungefähr. Sie wurzelt in einer Cinderella-Story, die Hollywood sich nicht besser hätte ausdenken können: Giannis Sina Ougko Antetokounmpo wurde als drittes von fünf Kindern nigerianischer Einwanderer in Athen geboren. Seine Eltern Charles und Veronica erlebten den Teufelskreis vieler Migranten: Ihr Einwandererstatus erschwerte es ihnen, feste Arbeit zu finden, und ohne feste Arbeit hatten sie keine Chance auf die griechische Staatsbürgerschaft. Der Vater, der in seiner Heimat Fußballer gewesen war, und die Mutter, eine Hochspringerin, hatten deshalb Mühe, genug Essen für ihre vier Söhne – der älteste, Francis, war in Nigeria geblieben – auf den Tisch zu bekommen.
Für Giannis bedeutete das: Er musste von Kindesbeinen an mithelfen, die Familie über Wasser zu halten. "Ich war immer außer Haus und habe so viel wie möglich versucht, meine Eltern zu unterstützen, indem ich Uhren, Brillen, CDs, DVDs und alles, was ich finden konnte, verkauft habe" , schilderte Antetokounmpo dem US- Sportsender ESPN seine Kindheit. "Ich habe das gemacht bis ich 17 wurde, weil ich es musste. Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich nichts verkauft hätte, hätten wir kein Essen gehabt. Oder wenn wir etwas verkauften, mussten wir überlegen, ob wir die Miete bezahlen oder etwas zu essen kaufen wollten. Das war nicht einfach."
Schon damals zeigte sich der Ehrgeiz, der Antetokounmpo auch als Basketballer auszeichnet: "Beim Verkaufen all dieser Dinge war ich der Beste", berichtete er ESPN. "Mein Geheimnis war, dass ich niemals aufgab. Ich habe die Leute so lange gefragt, bis ich sie dazu bringen konnte, etwas zu kaufen. Es hat auch geholfen, dass ich jung und süß war."
Trotz der Unterstützung durch ihre Kinder war die Familie so arm, dass Giannis mit seinem älteren Bruder Thanasis, dem jüngeren Kostas und dem Nesthäkchen Alex in einem Zimmer schlafen musste – zwei in einem Etagenbett, zwei auf einer Couch. Doch die Geschwister teilten nicht nur ihr Zimmer, sondern auch ihre Kleidung: "Was mir nicht passte, hat Alex genommen. Was Giannis nicht passte, habe ich genommen", erzählte Kostas dem "Bleacher Report". Manchmal musste sogar das Essen aufgeteilt werden, oft ein Souvlaki, von dem jeder einen Bissen nahm, bevor er es dem anderen reichte, wie das US-Magazin berichtet.
Als Giannis, der ursprünglich Fußballer werden wollte wie sein Vater, und der knapp zweieinhalb Jahre ältere Thanasis mit dem Basketballspielen begannen, hatten sie auch dort mit der Armut zu kämpfen. Weil die Familie sich nicht für beide Turnschuhe leisten konnte, mussten die Brüder sich ein Paar teilen. Ihre Spiele hätten oft am Dienstagabend stattgefunden, immer hintereinander, schreibt die Autorin Mirin Fader in ihrem Buch "Giannis: The Improbable Rise of an NBA MVP". Giannis habe zwei Paar Socken tragen müssen, damit ihm Thanasis' Schuhe der Größe 15 passten, wenn er mit seiner Mannschaft an der Reihe war. Anschließend habe er die Schuhe seinem älteren Bruder gegeben, der in einer höheren Liga spielte.
Später, als Giannis von dem Athener Verein Filathlitikos unter die Fittiche genommen wurde, schlief er sogar in der Turnhalle auf einer Bodenmatte, um das Geld für den Bus nach Hause zu sparen: "Er ging täglich fast fünf Meilen, vier bis fünf Meilen, um am Morgentraining teilzunehmen, denn normalerweise trainierten sie zwei Mal am Tag. Und wenn sie fertig waren, und er für gewöhnlich müde war, kam er und schlief oft hier mit seinem Bruder Kostas", berichtete Antetokounmpos Agent Giorgos Panou. "Das heißt, wenn man früh kam, so zur Mittagszeit, sah man sie meistens dort schlafen. Es war buchstäblich wie sein zweites Zuhause."
Von den Sorgen aus seiner Kindheit ist Giannis Antetokounmpo mittlerweile meilenweit entfernt: Im Jahr 2020 unterschrieb er bei den Milwaukee Bucks einen Maximalvertrag über fünf Jahre und insgesamt 228,2 Millionen Dollar – der größte Deal der NBA-Geschichte. Sein Vertrag mit dem Sportausrüster Nike garantiert ihm nicht nur, dass er sich niemals wieder Schuhe mit Thanasis teilen muss, er spült ihm Berichten zufolge auch jährlich zehn Millionen Dollar aufs Konto. Außerdem soll der "Greek Freak" neun Millionen Dollar pro Jahr mit weiteren Werbeverträgen verdienen.
Verändern lassen hat sich Antetokounmpo durch seien Aufstieg in die Welt der Superreichen und Superstars aber nicht: "So aufzuwachsen und durch das Leben zu gehen, und so hart wie das Leben für mich und meine Familie war, werde ich immer bescheiden bleiben", versicherte er gegenüber ESPN im Jahr 2018. "Es spielt keine Rolle, ob ich einen 100-Millionen-Dollar-Vertrag oder einen 100-Millionen-Dollar-Vertrag mit Nike habe, so bin ich aufgewachsen, so gehe ich durchs Leben. Ich werde mich nicht ändern."
Eine Anekdote, über die ESPN-Reporter Chris Haynes berichtete, zeigt, dass Antetokounmpo sich tatsächlich treu geblieben ist: "Nachdem Giannis Antetokounmpo und seine Teamkollegen der Milwaukee Bucks gerade ein Training an der University of California in Berkeley beendet hatten und auf dem Weg zurück zum Mannschaftsbus waren, wurde er von ein paar Autogrammjägern angesprochen, die Porträts von ihm in der Hand hielten", schreibt Haynes.
Der Grieche sei ihren Wünschen nachgekommen und dann zum Bus gegangen. Auf dem Weg habe einer seiner Mannschaftskameraden ihn gefragt, warum er die Gegenstände signiert habe, obwohl die Autogrammjäger wahrscheinlich ohnehin nur versuchen würden, sie zu verhökern. Antetokounmpo habe geantwortet: "Ich habe sie unterschrieben, weil ich das früher war."
"Man darf einfach nie vergessen, wo man herkommt", sagte Antetokounmpo ESPN. "Ich weiß, dass sie da rausgehen und die Sachen verkaufen werden, aber ich war auch mal das kleine Kind oder der kleine Typ, der auf der Straße Sachen verkauft hat."
Quellen: ESPN, "New York Times", "Bleacher Report", "Sportscasting", "Olympics"
Dieser Artikel wurde nach dem Sieg Deutschlands gegen Griechenland aktualisiert.
© G+J Medien GmbH