An einem Sommermorgen in den 80er-Jahren im Jura kommt ein Subaru von Courtelary gefahren. Unterwegs hält das Fahrzeug immer wieder an, der Fahrer steigt aus und verteilt hier ein Päckchen mit Würsten, dort ein Stück Bergkäse und bei einem anderen Halt eine Tasche mit Fleischstücken. «Wir verkauften damals alle Produkte der Métairie du Prince direkt an die Konsumenten», sagt Aram Melikjan, ehemaliger Bauer und Pionier in Sachen Weideproduktion. Auf 1200 Metern über Meer hielt er mit seiner Familie Kühe, Rinder und Schweine nach Tierhaltungsrichtlinien von KAGfreiland. Gekäst wurde auf dem Hof, und auch zum Metzgen mussten die Tiere nicht weit gefahren werden.
«Damals gab es ein gemeinnütziges Schlachthaus in Courtelary, fürs Schlachten war mein Nachbar zuständig», erinnert sich der Könizer aus Wabern. Dass er seine Tiere bis zum Lebensende begleitete und auch auf der Schlachtbank für sie sorgte, versteht sich von selbst. So konnte er sich vom Tierwohl bis zum letzten Atemzug überzeugen. In dieser Tradition führt Aram seit 27 Jahren das Matte-Lädeli, das 1981 als zweiter Bioladen in der Stadt Bern gegründet wurde. Auch hier gilt Qualität mehr als Masse, und so kann man guten Gewissens sagen, dass die Produkte bis heute von Hand verlesen werden – ohne Zwischenhandel. Sie werden vom Team des Matte-Lädelis wenn möglich direkt bei den Produzenten bestellt und bezogen.
Dass seine Produzenten beim Schlachten aufs Tierwohl achten, davon ist Aram überzeugt, auch wenn er nicht dabei ist. «Ich beziehe das Fleisch von drei Biometzgereien aus der Nähe, bei denen ich die Inhaber und viele Mitarbeitende persönlich kenne», erklärt der Inhaber des Matte-Lädeli. Er vertraut auf das Knospe-Zertifikat, denn es belegt, dass die Lieferanten nach strengen Richtlinien von externen Stellen kontrolliert werden. «Das hat natürlich seinen Preis», räumt der Detailhändler ein. «Das sollte Fleisch allerdings immer haben», hakt Vera Weber ein. Die Präsidentin der Fondation Franz Weber gibt zu bedenken, dass Fleisch eigentlich ein Luxusprodukt ist, aber nicht mehr so wahrgenommen wird. «Die Zeiten sind vorbei, wo der Braten ausschliesslich am Sonntag auf den Tisch kam», beobachtet sie. Heute leistet man sich Fleischgerichte an jedem Tag und das teilweise am Morgen, am Mittag und am Abend.
Viele Menschen seien sich nicht bewusst, wie schlecht es den Tieren geht, sogar hierzulande, in der Schweiz, mit einem der strengsten Tierschutzgesetze der Welt. Leider kann nicht einmal dieses verhindern, dass zehn bis an den Anschlag gemästete Schweine auf der Fläche eines Autoparkplatzes zusammengepfercht leben. In Massentierhaltungsbetrieben werden 17 Masthühner auf einen Quadratmeter zusammengepfercht, nach sechs Wochen ist ihr Leben zu Ende, männliche «Eintagsküken» werden nach einem Tag maschinell getötet und das millionenfach. «Die Massentierhaltung, wie sie heute gehandhabt wird, verletzt den Verfassungsgrundsatz des Tierschutzes», betont Vera Weber und erklärt damit das aktive Engagement der Fondation Franz Weber für die Initiative.
Wird der Fleischkonsum nicht drastisch reduziert, verlieren allerdings nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschheit. Denn durch die massenweise Produktion von Fleisch wird das Klima erwärmt, Wasser wird knapper und der Welthunger verstärkt. Dazu kommen gesundheitliche Herausforderungen: Dass durch das im Fleisch zugegebene Antibiotika kritische Resistenzen entstehen, ist kein Geheimnis, und auch bei weltweiten Krankheiten wird nicht bestritten, dass sie durch den zu engen Umgang mit Tieren verursacht werden. Trotzdem wird von politischen Kreisen gefordert, die Initiative gegen die Massentierhaltung abzulehnen. Für Vera Weber ist eine solche Haltung unverständlich. Umso wichtiger ist das Beispiel des Matte-Lädelis, wo ausschliesslich Fleisch aus tiergerechter Haltung in die Kühlregale kommt. Dass diese nicht bis oben gefüllt sind und das Angebot knapper als beim Discounter ausfällt, versteht sich von selbst.
Aram beobachtet, dass die Allzeit-Verfügbarkeit von Fleisch dazu beiträgt, dass es nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen wird. «Das ist auch in anderen Bereichen so, hingegen erhalten Dinge mehr Wert, wenn man ab und zu darauf verzichten muss», weiss er. «Zu viel macht alles kaputt», sagt er mit Blick auf unsere Gesellschaft, die ein Wachstum ohne Ende anstrebt. Es ist kein Geheimnis, dass die Massentierhaltung die Verfügbarkeit, den Konsum und die Gewinne der Fleischwirtschaft erhöhen will, und das bei billigen Preisen. «Das wird nicht funktionieren, denn die Ressourcen sind nicht unendlich», sind sich Vera Weber und Aram einig. «Wird die Initiative gegen die Massentierhaltung angenommen, wird das Fleisch als Folge in vielen Läden tatsächlich teurer», stellt die Präsidentin der Fondation Franz Weber klar. Sie geht davon aus, dass sie im Matte-Lädeli nicht gross ändern, weil hier eh Knospe-Qualität gilt. «An anderen Orten, vor allem bei Discountern, erhält das Fleisch aber endlich den Wert, den es haben sollte», betont sie.
Dass der alltägliche Fleischgenuss damit passé sei, sei eine logische Konsequenz, auch hier sind sich Vera Weber und Aram einig. «Manchmal lässt sich die Zufriedenheit in der Bescheidenheit finden», philosophiert der Krämer, der kürzlich in der Zeitung «Reformiert» porträtiert wurde. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran und nutzt zum Beispiel die neuen technischen Hilfsmittel nur so weit, wie sie ihn weiterbringen. Ein Handy braucht es da nicht. Wer mit ihm reden will, kommt in den Laden. Dort hat Aram immer Zeit für ein Gespräch. Auch mit Vera Weber, die mit ihrem Einkauf den unabhängigen Quartierladen unterstützt. «Solche Läden sind eminent wichtig», streicht sie heraus. «Denn dank dem Lädeli behält die Matte ihr lebendiges Zentrum.»
Wer im Matte-Lädeli einkauft, tut dies meist bewusst und stärkt dabei die sozialen menschlichen Werte genauso wie die Wertschätzung für tierische Produkte. Aktuell entspricht ein solches Verhalten einem Trend. Das sei aber nicht immer so gewesen, und man sollte nicht zu sehr darauf bauen, findet Aram. Wenn sich durch menschliche Wertschätzung allerdings Zufriedenheit einstelle, könne das eine Lösung sein, so erzählt er Vera Weber. «Vielleicht ist das die Lösung, um aus dem Kreislauf herauszukommen, wo man immer mehr will und haben muss», hält er den Gedanken fest. Quartierklasse gegen das Diktat der Masse sozusagen. Ein guter Plan. Auch dann, wenn es um Massentierhaltung und massenhaften Fleischkonsum geht – das nehmen wohl viele Kundinnen und Kunden mit, wenn sie mit ihrem Einkaufskorb und einem guten Gefühl die Stufen vom Matte-Lädeli aufs Pflasterstein der Matte hinaufsteigen.
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